Heimo Toefferl
Vzbgm. der Stadt Wolfsberg
SCHÄDELWÄRTS
Es war so Mitte der Sechziger, als ich ihn kennen lernte. Im Cafe Wiegele war der Preis für den Kleinen Braunen gerade auf fünf Schilling geklettert. Einige Mitglieder der Unterkärntner Künstlergilde diskutierten über den neuen Kaffeepreis. Über Kunst diskutierten sie nicht. Es war enttäuschend. Nur ein einziges Mal hatte das Gespräch entfernt mit Kunst zu tun, als ein junger Wilder unter den Künstlern einem anderen jungen Wilden unter den Künstlern eine Ohrfeige androhte. Es blieb bei der Drohung, weil das Monument dazwischen saß. Auch darüber war ich enttäuscht.
Das Monument hieß schon damals Karl Schüßler. Schon damals war Karl Schüßler ein Monument.
In den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren danach hörte ich ihn über Malerei reden. Alles klang einfach und verständlich, da war nichts von Mystik zu spüren, nichts von der Großartigkeit künstlerischen Schaffens, die ich eigentlich erwartet hatte, und die zu verstehen mir unmöglich schien.
So spricht er auch heute noch mit Elektrikern, Fleischhauern, Malern und Künstlern über Malerei und Literatur. Sie glauben hinterher von Kunst alles zu verstehen. Und ich sehe es den Elektrikern, Fleischhauern, Malern und Künstlern an: Sie haben begriffen, dass zu leben die höchste Kunst ist - und die Kunst selbständiges Leben. Was war daran jemals unklar?
Einen ganzen Tag lang konnte ich ihn einmal durch alle Galerien Nürnbergs und Münchens begleiten. Ich folgte dem Besessenen, der nicht müde zu werden schien, mit wundgelaufenen Füßen. Seither weiß ich: Kunst ist ein schmerzhafter Prozess.
Ich habe ihm hie und da beim Malen zugeschaut; und einmal war ich dabei, als ein Käufer den Preis eines seiner Bilder herunter handeln wollte. „Tut mir leid“, sagte Karl der Große, „aber ich kann vom Bild nichts herunter schneiden“. Der Käufer, ein kunstsinniger Mann, kaufte das ganze Gemälde.
Den Titel „Karl der Große“ Schüßler prägte Dr. Gerhard Seifried. Sicher in Anerkennung des künstlerischen Schaffens des Ehrenringträgers der Stadt Wolfsberg; vielleicht findet in dieser Bezeichnung aber auch Karls Hang zur Gigantomanie ihren Ausdruck. Alles in seinem Einflussbereich ist groß: seine Häuser, sein Ateliers, seine Hunde. Sogar seine Großzügigkeit ist größer als bei gewöhnlichen Menschen.
Im Grunde seines Herzens ist er ein Patriarch und deswegen ein politisch gefährlicher Mensch. Unweigerlich beschleicht einen nämlich der Verdacht, dass alle Patriarchen gute Menschen sind. Das ist das Schlimme daran. Politisch trennt uns viel. Ich bekenne mich zur Sozialdemokratie. Karl Schüßler jedoch ist Mitglied der KPI, der Kommunistischen Partei Italiens. Schrecklich, dieser Kapitalist, als den ihn manche sehen, ein verkappter Kommunist! Mein Gott, wie oft wir darüber schon gelacht haben.
Übrigens: Es gibt ein paar Fotos von Karl Schüßler, auf denen er zwischen Statuen ehemaliger kommunistischer Machthaber steht, die übermannsgroß sind. Diese Erz-Kommunisten schauen über Karl, das kleine weißhaarige, weißbärtige und auf seinen Stock gestützte erzkapitalistische Mitglied der KPI, hinweg. Sein verschmitztes Grinsen lässt sie kalt. Sie können nicht anders.
Weshalb drücke ich mich eigentlich davor, über seine Schädel zu schreiben? Warum schreibe ich nicht über Abgründe und Assoziationen, die sich bei ihrer Betrachtung auftun? Schöne, hohle Worte sind doch immer gefragt, täuschen vorzüglich Bleibendes vor.
Aber für wen sollte ich das schreiben? Für Karl Schüßler? Für mich? Haben wir uns bisher nicht auch wortlos verstanden? Wozu aus dem Bauch heraus schädelwärts plappern? Denn dem, der die Sprache seiner Schädel nicht versteht, ihre Schreie und ihr Gelächter nicht hört, dem braucht man ihre Sprache nicht zu übersetzen, dem braucht man nicht mit Worten die Ohren zu verstopfen.
Wie auch immer. Der Wolfsberger Künstler Karl Schüßler wird malen. Bis zum letzten Augenblick. Er muss malen, denn es fehlt ihm einfach gänzlich das Talent ein Durchschnittsmensch zu sein.
Heimo Toefferl